Spielsucht-Expertin: Immer mehr junge Frauen von Online-Glücksspiel abhängig
Posted on: 27/05/2021, 11:55h.
Last updated on: 27/05/2021, 11:55h.
Immer mehr junge Frauen suchen Hilfe, weil sie ihr Online-Glücksspiel nicht mehr unter Kontrolle haben. Dies zumindest ist die Erfahrung von Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspielsucht der Caritas im Rhein-Kreis Neuss. Im Interview mit der Neuss-Grevenbroicher Zeitung (NGZ) beschrieb die Expertin nun ihre Praxiserfahrung und den Wunsch nach mehr Spielerschutz in der Gesetzgebung.
Online-Glücksspiel als „emotionale Selbstberuhigung“
Seit 24 Jahren leitet Verena Verhoeven die Fachstelle Glücksspielsucht der CaritasSozialdienste Rhein-Kreis Neuss. Im NGZ-Gespräch beschreibt sie einen aktuell zu beobachtenden Wandel der Struktur der Hilfesuchenden. So steige nicht nur die Anzahl der Frauen unter den von Spielsucht Betroffenen, auch würden diese im Vergleich immer jünger.
In der Vergangenheit habe sich der Altersdurchschnitt der weiblichen Klientel um die Mitte 40 bewegt und sei damit rund zehn Jahre über dem der betroffenen Männer angesiedelt gewesen. Heute suchten vermehrt auch deutlich jüngere Frauen die Beratungsstelle auf.
In 90 % der Fälle berichteten die weiblichen Betroffenen von Problemen mit dem Online-Glücksspiel. Die Angebote im Internet, so die Expertin, seien aufgrund ihrer Niedrigschwelligkeit insbesondere für Frauen risikobehaftet. Die Auswirkungen der Pandemie und ihrer Maßnahmen hätten diese Thematik zudem weiter verstärkt:
Männer suchen Action – Frauen emotionale Selbstberuhigung. Für manche ist es auch eine seelische Stütze, die vor Gewalt, Überforderung oder anderen Problemen schützt. Durch den Lockdown sind Frauen doppelt und dreifach belastet – Home-Office, die Betreuung der Kinder im Home-Schooling – und dann noch kochen, putzen, Wäsche waschen. Spielaffine Frauen entspannen beim Online-Glücksspiel. Ein schnelles Spiel lässt sich ganz leicht in den Alltag integrieren.
„Lock-Angebote zum Anfüttern“
In das Problem spiele auch hinein, dass Online-Casinos oft mit Spielen ohne echten oder mit nur niedrigem Geldeinsatz lockten und Spielerinnen so „anfütterten“. Über solche Angebote gelangten diese dann oft zum wirklichen „Online-Gambling“.
Die vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales geförderte Fachstelle Glücksspielsucht in Neuss widmet sich der Beratung und Behandlung von Menschen, die direkt oder indirekt, beispielsweise durch Angehörige, von Spielsucht betroffen sind.
Zudem stehen Präventions- und Informationsangebote sowie die Vertretung der Interessen Betroffener und Öffentlichkeits- bzw. Aufklärungsarbeit auf der Agenda der Stelle.
Mit Blick auf den voraussichtlich am 1. Juli in Kraft tretenden Glücksspielstaatsvertrag 2021, der das Online-Glücksspiel in Deutschland unter Auflagen flächendeckend erlaubt, zeigt sich die Expertin gespalten. So seien die mit der Legalisierung einhergehende Abkehr vom unregulierten Schwarzmarkt und der verstärkte Fokus auf den Jugendschutz zu begrüßen.
Gleichzeitig seien die Vorgaben zum Spielerschutz in dem Regelwerk so vage formuliert, dass Betroffene nach wie vor selbst Schritte unternehmen müssten, um nicht über ihrem eigenen Limit spielen zu können. Tatsächlich bedeute Spielsucht aber gerade, „dass man sein Spielverhalten selbst nicht mehr regulieren kann“. Das geplante monatliche Einzahlungslimit von 1.000 Euro hält die Expertin für deutlich zu hoch angesetzt.
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