Spielsucht: Alarmierende Studie zum Spielverhalten von Kindern und Jugendlichen
Posted on: 06/03/2019, 01:16h.
Last updated on: 07/10/2020, 12:41h.
Laut der Studie “Geld für Games – wenn Computerspiel zum Glücksspiel wird” des Deutschen Zentrums für Suchtfragen und der DAK-Gesundheit zeigt jeder sechste Jugendliche Anzeichen eines problematischen Spielverhaltens. Die Krankenkasse fordert ein Verbot von Glücksspielelementen in Computergames, Kritiker warnen vor einer Pathologisierung des Spielens.
Wie spielen Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren?
Im Auftrag der Krankenkasse DAK Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) interviewte das Meinungsforschungsinstitut Forsa für eine repräsentative Studie 1.000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren. Anhand von neun Fragen, die telefonisch beantwortet wurden, erarbeiteten die Wissenschaftler die gestern veröffentlichten Erkenntnisse.
Die Fragestellung der Forscher bezog sich auf den finanziellen Aufwand, den die Befragten im Kontext des Spielens betrieben und die Unterschiede zwischen problematischen und unproblematischen Spielern. Im Fokus standen hierbei ebenfalls game-bezogene Geldaufwendungen sowie psychologische Aspekte.
Warnsignale, die auf eine Computerspielsucht bei Jugendlichen hinweisen könnten:
-> Gemindertes Kontaktverhalten: Der Jugendliche geht Begegnungen aus dem Weg
-> Ausufernde Nutzungszeiten: Sonstige Freizeitaktivitäten werden vernachlässigt, die spielfreie Zeit wird immer weniger
-> Änderung der Tagesstruktur: Wenig Schlaf und/oder gestörter Tag-Nacht-Rhythmus
-> Gestörte Impulskontrolle: Wut, Ärger, depressive Verstimmung, wenn kein Zugang zum Spiel besteht
-> Nachlässigkeit: Aufgaben und Verpflichtungen werden nicht mehr ernstgenommen
-> Mangelnde Selbstreflexion: Der Jugendliche kann sein Spielverhalten nicht realistisch einschätzen
465.000 Minderjährige gefährdet
72,5 % der Befragten gaben im Interview an, regelmäßig Zeit mit dem Gaming an Computer, Konsole, Smartphone oder Tablet zu verbringen. Zwei Drittel derer, die mindestens einmal pro Woche spielen, waren Jungen, das Durchschnittsalter der regelmäßigen Gamer lag bei 14,4 Jahren.
Bei 15,4 % von ihnen stellten die Forscher ein riskantes oder problematisches Spielverhalten fest. Die Kriterien einer pathologischen Spielsucht wurden laut Studie bei 3,3 % der jugendlichen Gamer erfüllt.
Hochgerechnet kommt die Studie zu dem Schluss, dass mit 465.000 Gamern knapp eine halbe Million Minderjährige in Deutschland im Begriff stehen könnte, die Kontrolle über ihr Spielverhalten zu verlieren oder bereits verloren hat.
Suchtfördernde finanzielle Mechanismen
Hintergrund der Erhebung war insbesondere die Erforschung des Einflusses von monetären Aspekten und Glücksspielelementen auf das Spielverhalten der Minderjährigen. Sie machen die primäre Zielgruppe der Computerspielindustrie aus und sind besonders empfänglich für suchtfördernde Mechanismen in Spielen.
Besonderes Augenmerk legten die Forscher auf die finanziellen Spielaspekte, denen die Befragten beim Gaming begegnen. Hierzu gehören Investitionen in Zusatzitems und Spielerweiterungen, die Bindung an das Spiel durch zeitlich begrenzt verfügbare Items, das Angebot von Lootboxen sowie den möglicherweise fehlenden Überblick bei 1-Click-Käufen und In-Game-Währungen.
Die Studie ergab, dass mehr als die Hälfte de regelmäßigen Gamer in den vergangenen sechs Monaten im Durchschnitt rund 110 Euro für die Anschaffung von Spielen oder Extras ausgegeben hatte.
Insbesondere In-Game-Währungen hatten es den Jugendlichen angetan, gefolgt von Ausgaben für zusätzliche Spielfiguren und dekorative Elemente. 6% der Spieler gaben an, ihr Geld in den Erwerb von Lootboxen investiert zu haben.
Mehr Geld, mehr Zeit
Auffällig war hierbei, dass die als Risiko-Gamer klassifizierten Minderjährigen deutlich mehr Geld für Spiele und Extras ausgaben als die unauffälligen Spieler. So lag der Durchschnitt der Aufwendungen für Zusatzitems und Co. bei ihnen bei 93,71 Euro binnen eines halben Jahres, während die Vergleichsgruppe im Schnitt weniger als 40 Euro in Extras investiert hatte.
Auch in Sachen durchschnittlicher Spieldauer zeigten deutliche Unterschiede:
Während unauffällige Spieler am Wochenende und in den Ferien täglich rund 197 Minuten mit dem Gaming verbrachten, spielten die Risiko-Gamer mit 296 Minuten knapp fünf Stunden am Tag an ihren Endgeräten.
Die Fragen der Wissenschaftler adressierten auch den emotionalen Zustand der Jugendlichen.
Die Antworten ergaben, dass Hyperaktivität, Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme unter Risiko-Gamern deutlich stärker verbreitet sind, als unter Jugendlichen, die kein auffälliges Spielverhalten zeigten.
Achtsamkeit und Prävention
Die Studie der DAK empfiehlt Eltern, sich aktiv mit dem Spielverhalten ihrer Kinder auseinanderzusetzen und klare Regeln für den Umgang mit Computerspielen zu kommunizieren. Zudem fordert die Krankenkasse Warnhinweise zu Spielzeiten und Ausgaben auf Games.
Andreas Storm, Vorstandvorsitzender der DAK-Gesundheit, sieht insbesondere die Rolle der Spielehersteller kritisch:
Aus Spaß kann schnell Sucht werden. Durch die Tricks der Industrie finden viele Jugendliche kein Ende und verzocken Zeit und Geld.
Panikmache vermeiden
Trotz der Ergebnisse der Studie, nach denen in Deutschland einer von sechs Jugendlichen ein Risiko-Spieler sein könnte, gibt es auch Stimmen, die vor einer vorschnellen Pathologisierung des Computerspielens warnen.
So stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen Risiko und Suchtverhalten gezogen wird und inwieweit anhand von neun Fragen eine realistische Einschätzung der Gefährdung der Jugendlichen getroffen werden könne.
Zudem sei bislang nicht erforscht, inwieweit die Abhängigkeit von Computerspielen als Teil einer pubertären Phase und somit als vorübergehend betrachtet werden könne. Einen Konsens, ab wann die Diagnose „Computerspielsucht“ getroffen werden kann, gibt es bislang unter Forschern nicht.
Und auch die Frage, ob das exzessive Spiel, das einer Realitätsflucht gleicht, zu emotionalen Problemen führt oder eher aus ihnen entsteht, ist nach wie vor ungeklärt.
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