Baden-Württemberg: Experten fordern Sperrdatei und Regulierung von Online Glücksspiel
Posted on: 05/03/2019, 02:19h.
Last updated on: 05/03/2019, 02:25h.
Im Februar trafen sich Vertreter von Wissenschaft, Spielerschutz, Politik und Industrie, um in Stuttgart eine Zwischenbilanz zur Umsetzung des Landesglücksspielgesetzes in Baden-Württemberg zu ziehen. Der nun erschienene Tagungsbericht zieht eine positive Bilanz, zeigt aber auch, wo die Experten in Bezug auf den Umgang mit Glücksspiel in Deutschland Nachholbedarf sehen.
Mit 90 Teilnehmern fand am 22. Februar 2019 die Fachtagung „Spielerschutz in Baden-Württemberg – Eine Zwischenbilanz zur Umsetzung des Landesglücksspielgesetzes“ in Stuttgart statt. Eingeladen hatten die Evangelische Gesellschaft (eva), das diakonische Unternehmen Die Zieglerschen, der Baden-Württembergische Landesverband für Prävention und Rehabilitation sowie die Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim.
Was bringt das Landesglücksspielgesetz?
Auf dem Prüfstand stand das seit November 2012 geltende baden-württembergische Landesglücksspielgesetz (LGlüG).
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb von Glücksspielangeboten werden teils erst seit Ablauf einer Übergangsfrist im vergangenen Jahr umgesetzt und sollen unter anderem dem Spielerschutz dienen.
Auf der Tagung kamen Experten aus unterschiedlichen Bereichen des Feldes Glücksspiel zu Wort und setzten in Referaten vor dem Fachpublikum verschiedene Schwerpunkte, in denen sowohl auf land- als auch webbasierte Angebote eingegangen wurde.
Einigkeit bestand in der Auffassung, dass dem Spielerschutz nach wie vor höchste Priorität eingeräumt werden müsse. Insgesamt sieht ein Großteil der Referenten aber trotz positiver Entwicklungen weiterhin Handlungsbedarf, um das Glücksspiel in Deutschland in vernünftige Bahnen zu lenken.
Wissenschaftler fordert Aufsichtsbehörde für Online Glücksspiel
Bereits in seiner Eröffnungsrede fand der Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Tilman Becker unter anderem deutliche Worte für den Umgang mit Online Casinos in Deutschland. So sprach er sich dezidiert für die Schaffung einer bundesweiten Glücksspielaufsichtsbehörde für das Online Glücksspiel aus.
Eine solche sei unabdingbar, wolle man den Markt für private Anbieter von Online Casinos liberalisieren, gab der Wissenschaftler an. Er wies darauf hin, dass man nicht dieselben Fehler machen dürfe wie bei dem Versuch der Konzessionsvergabe für Sportwettenanbieter im Jahr 2012.
Die Liberalisierung des Marktes für Sportwetten habe damals ohne die Einrichtung der „notwendigen institutionellen Voraussetzungen für eine rechtssichere Vergabe der Lizenzen und der Kontrolle und Überwachung“ stattgefunden. Als Ergebnis sei ein grauer Markt entstanden. Dies müsse künftig verhindert werden:
Scharf formuliert: Hier muss man sich schon fragen, ist die Politik unfähig, aus den Fehlern der Vergangenheit d. h. der gescheiterten Vergabe der Sportwettlizenzen zu lernen oder steckt gar eine Absicht dahinter? Auch hier gilt ganz besonders: erst die institutionellen Strukturen schaffen, dann liberalisieren.
Pathologisches Spiel: Automaten als Hauptproblem
Detailliert auf das pathologische Spiel in Baden-Württemberg ging in ihrem Vortrag die Vertreterin der Landesstelle für Suchtfragen, Christa Niemeier, ein. Anhand ausgewählter Zahlen der Suchthilfestatistik des Landes zeigte sie auf, dass im Jahr 2017 6,8 % der Hilfesuchenden die Beratung der Landesstelle aufgrund der Hauptdiagnose des pathologischen Spiels aufgesucht hatten.
Den Negativrekord stellten hierbei Spielautomaten in Spielhallen auf, die für 1711 Baden-Württemberger als Hauptglücksspielform zum Problem geworden waren, das Automatenspiel im Internet bezeichneten 38 Personen als Zentrum ihres pathologischen Spiels.
Mangelnde Kooperation der Spielhallenhallenbetreiber
Ernüchternd fiel die Bilanz der Landesstelle in Bezug auf die Entwicklung der Kooperation seitens der Spielhallen aus. So habe es zwar insgesamt seit Einführung der verpflichtenden Trainings für Spielhallenpersonal 1.726 Schulungen gegeben, darüber hinaus erfolge aber wenig Anstrengung in Sachen Spielerschutz seitens der Anbieter.
So seien beispielsweise Spielersperren vor Ort überwiegend nicht bekannt und Infomaterial zu Suchtberatung werde nur wenig proaktiv eingesetzt. Zudem gäbe es nur selten Kooperationsbemühungen außerhalb der Schulungen.
Angestellte überfordert
Skeptisch äußerte sich diesbezüglich auch Holger Urbainczyk, ehemaliger Spielsüchtiger heute Berater für Glücksspielsucht. In seinem Vortrag schilderte er die Problematik der Spielhallenangestellten in Bezug auf den Umgang mit Problemspielern.
Diese befänden sich oft in einem Rollenkonflikt zwischen den Anforderungen ihres Arbeitgebers und gesetzlichen Vorgaben und seien nicht selten überfordert damit, im Sinne des Spielerschutzes zu agieren.
Urbainczyk forderte mehr Übernahme von Verantwortung durch Politik und Spielhallenbetreiber, insbesondere die Einrichtung einer Sperrdatei müsse von der Landesregierung in Angriff genommen werden.
Branchenvertreter zufrieden
Den Spielerschutz weniger kritisch sahen die Branchenvertreter der Spielhallen und Spielbanken und gaben Einblicke in die Bemühungen ihrer Unternehmen in Sachen Spielerschutz und ernteten laut Tagungsbericht viel Beifall vom Publikum.
In einer abschließenden Podiumsveranstaltung widmeten sich die Diskutanten vornehmlich rechtlichen und politischen Fragen zum Glücksspiel in Baden-Württemberg.
Während Vertreter der Industrie vor der Abwanderung der Spieler ins Internet warnten und staatliche Lotteriebetreiber die Wichtigkeit des Glücksspielmonopols für Spielerschutz und Gemeinwohl hervorhoben, warnte der Abgesandte des Wirtschaftsministeriums davor, die Komplexität aller Regulierungsbemühungen auf rechtlicher Ebene zu unterschätzen.
Glücksspielgesetzgebung: Es bleibt viel zu tun
Der Tagungsbericht der Fachstelle Glücksspiel und Medien der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart resümiert nach dem Treffen, dass unter den Teilnehmern Übereinstimmung in den Forderungen nach einer landes- bzw. bundesweiten Sperrdatei und einer vernünftigen Regelung für den Umgang mit Online-Angeboten bestehe.
Wie genau das Fazit der Experten in Bezug auf die Umsetzung des geltenden baden-württembergischen Glücksspielgesetzes ausgefallen ist, lässt er offen.
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