Mithilfe des Glücksspiels: Finnlands Kampf gegen die Obdachlosigkeit

Posted on: 20/04/2019, 05:30h. 

Last updated on: 18/04/2019, 04:49h.

Finnlands Regierung geht einen eigenen Weg, um dem Problem der Obdachlosigkeit im Land Herr zu werden und setzt dabei auch auf die Unterstützung durch Einnahmen aus dem Glücksspiel. Auch für Deutschland könnte das erfolgreiche Konzept als Beispiel dienen.

Obdachlos Parkbank
Finnland hat der Obdachlosigkeit den Kampf angesagt (Quelle:pexels.com/Mircea lancu)

„Housing First“ in Finnland

Während die Zahlen derer, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben, in ganz Europa steigen, kann Finnland mit seinem „Housing First“-Projekt große Erfolge vorweisen.

Im Jahr 1987 gingen Schätzungen noch von rund 18.000 obdachlosen Menschen in Finnland aus, 2017 waren in dem 5,5 Millionen-Einwohner-Land nur noch 7.112 Menschen ohne festen Wohnsitz.

Lediglich 415 von diesen lebten tatsächlich auf der Straße oder in Notunterkünften, der absolute Großteil kam bei Freunden oder Verwandten unter.

Wer trinken will, kann trinken

Die Idee: Obdachlosigkeit wird aktiv bekämpft, indem Menschen ohne festen Wohnsitz bei der Wohnungsvergabe Priorität erhalten, ohne dass eine Bedingung an ihre Unterbringung geknüpft wird.

Präsidentenpalst Helsinki
Die Regierung in Helsinki knüpft keine Bedingungen an die Wohnraumvergabe (Quelle:Olaf Meister, licensed under CC BY-SA 4.0)

Wer trinkt, trinkt, wer Drogen nimmt, nimmt Drogen und bekommt dennoch einen Schlüssel für ein eigenes Heim.

Zusätzlich zu den Neu- und Umbauten bietet Housing First Unterstützung durch soziale und medizinische Betreuung.

Das dieses Konzept nicht billig ist, steht außer Frage, doch die Rechnung geht auf: Studien zufolge spart die finnische Gesellschaft durch jeden untergebrachten ehemals Langzeit-Wohnungslosen rund 15.000 Euro pro Jahr.

Hintergrund sind sinkende Kosten in Bereichen wie medizinischen Notaufnahmen, Polizei und Justiz, die mit langjähriger Obdachlosigkeit einhergehen können.

Glücksspiel finanziert Wohnungsbau

Dass der finnische Staat in der Lage ist, die Mittel zum Bau neuer Appartements und der Unterstützung der Betroffenen zur Verfügung zu stellen, liegt nicht zuletzt an der Neigung der Finnen zum Glücksspiel. Mit einem durchschnittlichen Einsatz von jährlich 588 US-Dollar pro Kopf belegt Finnland den fünften Platz der weltweiten Rangliste.

Die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern recht liberale Glücksspielregelung ermöglicht den Finnen das Spiel in Spielbanken, an Automaten und im Internet.

Das Monopol liegt beim staatlichen Allround-Anbieter Veikkaus Oy.  Im Zuge einer Glücksspielreform fusionierten 2016 der Casino- und Spielautomatebetreiber RAY, Wettanbieter Fintoto und die staatliche Veikkaus-Lotterie zu dem Megakonzern.

Die Gewinne des finnischen Glücksspiels fließen durch die staatliche Veikkaus Oy gebündelt und direkt in die öffentlichen Sozialsysteme, wo sie unter anderem für Housing First genutzt werden.

Der Verlust des Einzelnen beim Glücksspiel wird so zum Gewinn für die Gesellschaft.

Der Umgang mit Obdachlosigkeit: Eine Frage der Haltung

Das Erfolgsrezept der Nordeuropäer: Obdachlosigkeit wird nicht als Scheitern des Einzelnen verstanden, sondern als strukturelles Problem, das auch gesamtgesellschaftlich, also unter Mithilfe des Staates angegangen werden muss, wie Juha Kaakinen, einer der Initiatoren des Housing First Ansatzes erklärt:

Die finnische Haltung ist, dass wir den Menschen, die sich in dieser schwierigen Lage befinden, helfen müssen, ganz unabhängig davon, wie sie in die Obdachlosigkeit geraten sind. Wir haben sehr gut verstanden, dass die Hauptgründe für Obdachlosigkeit struktureller Natur sind.

Dass diese Hilfe funktioniert, ist der engen Vernetzung unterschiedlicher Stellen zu verdanken. So arbeitet die Zentralregierung eng mit Glücksspielanbieter Veikkaus Oy, Stadtverwaltungen, NGOs und Betrieben zusammen.

Beispiel für Deutschland?

Weltzeituhr Alexanderplatz Berlin
In Berlin leben bis 10.000 Menschen auf der Straße (Quelle:Bleppo, gemeinfrei)

Zum Vergleich: Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Berlin zwischen 4.000 und 10.000 Menschen auf der Straße leben. Der Senat rechnet mit 100.000 Wohnungen, die bis 2021 in der Hauptstadt gebaut werden müssten.

Jedoch sind die öffentlichen Mittel für den Wohnungsbau knapp und der soziale Gedanke steht bei Bauvorhaben privater Investoren eher selten im Vordergrund.

Während mittlerweile auch viele Menschen, die berufstätig sind, bei der Suche nach geeignetem Wohnraum mit massiven Schwierigkeiten zu kämpfen haben, scheint die Idee der Unterbringung von Obdachlosen in eigenen Wohnungen keine Priorität zu haben.

Derzeit beraten Politiker darüber, wie es in Sachen Glücksspielgesetzgebung in Deutschland weitergehen soll. Teil des neuen Glücksspielstaatsvertrages wird auch der künftige Umgang mit dem bislang nicht-lizensierten und somit nicht besteuerbaren Online Glücksspiel in Deutschland sein.

Vielleicht lohnt sich ein Blick nach Finnland, um eine Idee davon zu bekommen, was ein Staat mit den Einnahmen eines nicht-kriminalisierten Glücksspiel alles auf die Beine stellen kann.