Pressekonferenz: Jogi Löw hat 99 Probleme – Der Videobeweis ist keines davon
Posted on: 30/08/2018, 02:00h.
Last updated on: 30/08/2018, 03:32h.
Bundestrainer Jogi Löw hat am Mittwoch in einer knapp zweistündigen Pressekonferenz nach langem Schweigen Stellung bezogen. Es ging um das WM-Debakel in Russland, die Affäre um Mesut Özil, Fehler, Vorsätze und Personalfragen.
Joachim Löw (58), Trainer der Deutschen Nationalmannschaft („Die Mannschaft“), hat sich 63 Tage nach dem katastrophalen Vorrundenaus des deutschen Teams den Fragen der Öffentlichkeit gestellt. Trotz deutlicher Selbstkritik bleiben die Konsequenzen überschaubar.
Gemeinsam mit Teammanager Oliver Bierhoff präsentierte Löw in der Münchner Allianz Arena die Ergebnisse der Analysen des schlechten Abschneidens des Fußballweltmeisters von 2014. Auch seine eigene Haltung sah der Trainer kritisch:
Das war beinahe schon arrogant
Der Glaube daran, allein mit dominantem Spiel und Ballbesitz die Vorrunde überstehen zu können, sei sein größter Fehler gewesen, sagte Löw selbstkritisch. Die Rahmenbedingungen hätten dieses Spiel nicht hergegeben, doch statt die Mannschaft auf eine sicherere Spielweise einzuschwören, habe er seinen Plan auf die Spitze getrieben.
Ein weiteres Manko sei die Chancenverwertung während der WM gewesen, analysierte der Bundestrainer. Trotz 24 Torabschlüssen pro Spiel habe es noch nie so wenig Tore gegeben. 2014 hingegen habe die Balance zwischen Offensive und Defensive und in der gesamten Spielweise gestimmt.
“Frust, Enttäuschung und eine große Portion Wut”
Löw beschrieb das WM-Aus als absoluten Tiefschlag. Alle Beteiligten seien weit unter ihren Möglichkeiten geblieben. In seinen Ausführungen übernahm Löw die volle Verantwortung. Den Spielern habe das Feuer gefehlt und er sei derjenige gewesen, der die Leidenschaft hätte forcieren müssen.
Personelle Konsequenzen bleiben überschaubar
Statt harter Einschnitte zieht Löw eine kleine Personal-Rochade vor: Schneider wird seinen Posten als Co-Trainer räumen und wird von nun an die Scouting-Abteilung in leitender Funktion betreuen. Der bisherige Leiter, Urs Siegenthaler, erhält eine „übergeordnete Rolle“ im gleichen Bereich.
Spieleraufstellung: Wenig Raum für Veränderung
Auch in der Kaderaufstellung für die kommenden Spiele im September zum Auftakt der Nations League gegen Frankreich und das Testspiel gegen Peru in Sinsheim bleibt Löw seiner Linie treu. Trotz vermuteter großer Veränderungen waren von 23 Spielern bereits 17 bei der WM in Russland dabei.
Für Russland hatte er auf sie verzichtet, nun holt Löw drei Spieler in den Kader zurück: Leroy Sané (Manchester City), Nils Petersen (SC Freiburg) und Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) werden gegen Frankreich und Peru auflaufen.
Löw: Richtige Mischung aus Erfahrung und jungen, hungrigen Spielern
Während Weltmeister Sami Khedira, Kevin Trapp und Sebastian Rudy in der Aufstellung fehlen, werden Thilo Kehrer (21, PSG), Nico Schulz (25, TSG Hoffenheim) und Kai Hervetz (19, Bayer Leverkusen) das Team vor allem im Mittelfeld unterstützen.
Der Umgang mit der Causa Özil
Angesprochen auf Ex-Nationalspieler Mesut Özil zeigten sich Löw und Bierhoff zurückhaltend. Löw bedauerte, nicht persönlich von Mesut Özil, wie es normalerweise üblich sei, sondern von dessen Manager über seinen Rücktritt informiert worden zu sein. Seither habe Özil trotz mehrmaliger Versuche nicht mit ihm gesprochen.
Einen Tag vor der Nominierung des vorläufigen WM-Kaders tauchen am 14.Mai Fotos auf, die die Nationalspieler Özil und Gündogan und den beim FC Everton unter Vertrag stehenden Cenk Tosun lächelnd bei einem Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zeigen. Erdogan steht mitten im Wahlkampf und in der Kritik. Ihm wird vorgeworfen, die Türkei zu einem autokratischen Staat auszubauen und Menschenrechte zu unterdrücken.
Am 15. Mai werden Özil und Gündogan ins vorläufige Aufgebot berufen. DFB-Präsident Grindel lässt verlauten, die Spieler hätten sich für Wahlkampfmanöver Erdogans missbrauchen lassen, während auch die öffentliche Kritik immer lauter wird. Insbesondere Özil wird vorgeworfen, sich als Sohn türkischer Einwanderer nicht mit Deutschland zu identifizieren, und es entbrennt eine hitzige, politische Debatte.
Nach Wochen des Schweigens und dem verheerenden WM-Aus meldet sich der Betroffene via Twitter zu Wort: In drei langen Mitteilungen legt er seine Sicht der Dinge dar und führt aus, sowohl durch die Medien als auch im DFB selbst starkem Rassismus ausgesetzt gewesen zu sein. Die Abrechnung endet mit einem Paukenschlag: Özil verlässt die Nationalmannschaft.
Özils Vorwurf, Rassismus ausgesetzt gewesen zu sein, begegnete Löw mit deutlichen Worten: Während seiner Zeit habe es niemals Anzeichen für Rassismus in der Mannschaft gegeben.
Bierhoff gab sich in Bezug auf die gesamte Debatte um die Person Özil und das Verhalten des DFB nachdenklich: Man habe die Situation unterschätzt und falsch eingeschätzt. Es sei das erste Mal in seinen 30 Jahren im Profifußball, dass die Meinungen so weit auseinander gingen, wie bei der Diskussion um Mesut Özils Entscheidungen und die öffentlichen Reaktionen darauf.
Ob das Team um den Bundestrainer die Last der letzten Wochen und Monate tatsächlich hinter sich lassen und zu neuer alter Topform auflaufen kann, zeigt sich am 09.September. Da empfängt der Ex-Weltmeister den amtierenden aus Frankreich zum Auftaktspiel der erstmalig ausgetragenen UEFA Nations League in München.
Videobeweis: Der DFB ist nicht die FIFA
Trotz aller Anspannung vor den kommenden Spielen und dem Druck, der nach dem WM-Debakel auf ihm lastet, hat Löw seinen Trainerkollegen aus der Bundesliga eines voraus: Im Gegensatz zu ihnen ist er den Videobeweis bei Fußballspielen gewöhnt. Bereits 2016 machte er im Länderspiel gegen Italien Bekanntschaft mit dem Extra-Auge des Video-Schiedsrichters und auch bei der WM in Russland wurde erfolgreich auf die technische Unterstützung durch Videobeweise gesetzt.
In der Bundesliga hingegen hat der Einsatz der Videoassistenten an den ersten Spieltagen statt für Klarheit, für Verwirrung und Ärger gesorgt. Gleich mehrmals war es zu Unstimmigkeiten zwischen Referees und Videoassistenten gekommen. Während der DFB zugab, dass „viele Sachen einfach nicht gut gelaufen seien“, forderte Bayern-Vorstandschef Rumenigge eine Taskforce, die sich darum kümmern soll, dass hier „endlich professionell gearbeitet“ werde. Auch Sportdirektor Rosen aus Hoffenheim betonte, bei der WM in Russland sei der Videobeweis eine “wunderbare, sinnvolle und gerechte Einrichtung” gewesen. Das, was man hingegen in Deutschland gesehen habe, stünde im krassen Gegensatz dazu.