Bombenattantat auf den BVB Mannschaftsbus: Sergej W. zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt
Posted on: 28/11/2018, 05:12h.
Last updated on: 28/11/2018, 05:40h.
Er hatte auf das Fallen der BVB-Aktie gewettet und war bereit, dafür zu töten. Zu dieser Überzeugung gelangte das Landgericht Dortmund und verurteilte Sergej W. wegen des Attentats auf die Fußballer von Borussia Dortmund im April 2017 zu 14 Jahren Haft.
Er baute drei Bomben, befüllte sie mit 65 Stahlstiften und ließ sie direkt neben dem vollbesetzten Mannschaftsbus von Borussia Dortmund detonieren, weil er auf Wettgewinne hoffte.
Am Dienstag erging das Urteil gegen den 29-jährigen Industriemechaniker Sergej W.:
14 Jahre Gefängnis wegen 28-fachen Mordversuchs, schwerer Körperverletzung und Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. Damit blieb das Landgericht unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten lebenslangen Freiheitsstrafe. Die Verteidigung hatte auf eine Haft von deutlich unter zehn Jahren plädiert.
Bombenattentat auf den BVB: Detonationen kurz vor Champions League-Spiel
Rückblick: Am frühen Abend des 11. April, einem Dienstag, macht sich die Mannschaft des BVB auf den Weg zum Dortmunder Signal-Iduna-Park, in dem das Champions League-Spiel gegen den AS Monaco angepfiffen werden soll.
28 Personen befinden sich in dem Bus, der um 19.15 Uhr vom Gelände des „l`Arrivée Hotel & Spa“ im Dortmunder Norden zur rund 15-minütigen Fahrt zum Heimstadion aufbricht.
Nur Sekunden später, ca. 40 Meter hinter der Ausfahrt des Hotels, kracht es. Auf einer Länge von ungefähr 20 Metern detonieren zeitgleich drei Streubomben, die in einer Hecke versteckt waren. Die Explosion lässt noch viele Meter weiter die Fenster erzittern, Stahlstifte, mit denen die Bomben gespickt waren, werden später aus einer Hauswand auf der anderen Straßenseite gezogen werden.
Der Bus, der auf der rechten Seite schwer beschädigt ist, fährt noch einige Meter und kommt dann zum Stehen. Ein Polizist, der das Team auf dem Motorrad eskortierte, hat ein Knalltrauma erlitten, der BVB-Innenverteidiger Marc Bartra, der im Bus sitzt, ist schwer am Unterarm verletzt. Er muss im Krankenhaus notoperiert werden.
Vor Gericht wird Bartra später über seinen Anwalt Sätze verlesen lassen, die das ganz persönliche Ausmaß des Attentats für ihn erahnen lassen:
Ich hatte Angst um mein Leben und dass ich meine Familie nie wiedersehen würde. Es war furchtbar (…) Ich habe die Sache bis heute nicht verarbeitet. Ich habe auch immer wieder den gleichen Albtraum.
Der Polizist ist bis heute nicht dienstfähig und auch die weiteren Betroffenen zeichneten während der 30 Verhandlungstage vor Gericht das Bild zutiefst traumatisierter Menschen.
Traumatisierte Profi-Fußballer
Roman Weidenfeller gab an, dass der Anschlag sein Leben verändert habe. Der portugiesische Nationalspieler Raphael Guerreiro kämpfte mit den Tränen, als er die Momente beschrieb, in denen er die Druckwelle im Bus spürte und die Schmerzensschreie Bartras hörte.
Es habe gedauert, die schlimmen Erinnerungen zu verarbeiten, doch selbst nach seinem Entschluss, dass das Leben für ihn weitergehe, könne er dieses Erlebnis nicht vergessen.
Nach dem Anschlag regte sich große Kritik an der UEFA. Der europäische Fußballverband hatte entschieden, das Spiel Borussia Dortmund gegen AS Monaco nachzuholen – 22 Stunden nach dem Bombenattentat.
Nach dem Abpfiff des Spiels am Mittwochabend, das mit einem Sieg der Monegassen endete, so berichtete Roman Weidenfeller später, habe die gesamte Mannschaft in der Kabine geweint.
Auch Trainer Thomas Tuchel machte seinem Entsetzen Luft:
Wir waren in die Entscheidung überhaupt nicht eingebunden. Das hat die UEFA in der Schweiz entschieden. Das ist kein gutes Gefühl, es war ein Gefühl der Ohnmacht. Die Termine werden vorgegeben und wir haben zu funktionieren.
Dem widersprach die UEFA, die betonte, niemals Informationen erhalten zu haben, die „andeuteten, dass eines der Teams nicht habe spielen wollen“.
Auch BVB-Funktionär Reinhard Rauball machte deutlich, im Bombenanschlag am Vortag keinen Grund für eine weitere Verzögerung der Partie zu sehen:
„Das sind Profis, da bin ich der Auffassung, dass sie das wegstecken können“
Teamkollege Matthias Ginter brach vor Gericht in Tränen aus, als er die Geschehnisse rekapitulierte.
Der 24-Jährige, der heute für Borussia Mönchengladbach und die Deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz steht, sagte, er schrecke bei jedem lauten Geräusch zusammen, komme ein LKW auf ihn zu, müsse er die Straßenseite wechseln.
Besonders dramatisch: Matthias Ginter stand auch am 13. November 2015 im Stade de France bei einem Freundschaftsspiel Frankreich – Deutschland auf dem Platz, als islamistisch motivierte Attentäter in Paris, unter anderem im Bataclan-Theater, 130 Menschen töten und 700 weitere verletzen.
Dass es im Stadion nicht zur Katastrophe kam, war nur dem Zufall geschuldet.
„Ein vorgetäuschtes Attentat“
„Bataclan“, dieses Schlüsselwort fiel auch im Prozess gegen den Bombenbauer Sergej W. in Dortmund. Der 29-Jährige gab an, darauf spekuliert zu haben, dass das für den Abend angesetzte Champions League-Spiel ausfalle, der Terroranschlag in Paris anderthalb Jahre zuvor habe ihm als Inspiration gedient.
Dennoch, so betonte er, habe er zu keinem Zeitpunkt vorgehabt, jemanden zu töten, es sei ihm lediglich darum gegangen, Angst und Schrecken zu verbreiten:
Mein Ziel war, einen Sprengstoffanschlag vorzutäuschen, damit den Kurssturz der BVB-Aktie zu erreichen. Ich hatte mit einer großen Aktienbewegung gerechnet, die waren aber im Minus. Ich hatte ja darauf spekuliert, dass das Spiel ausfällt.
Ein „vorgetäuschter“ Sprengstoffanschlag mit drei Sprengbomben? Ebenso wie die Staatsanwaltschaft, die Sergej W. Mordversuch in 28 Fällen vorwarf, war auch das Gericht überzeugt, dass es sich bei den Einlassungen des nun Verurteilten nur um die halbe Wahrheit gehandelt habe.
Angeblich habe er die Bomben extra so konzipiert, dass niemand zu Schaden kommen sollte, gab er in seinem Geständnis an.
Einer Darstellung, der Experten widersprachen: Die handgefertigten, fingerdicken Metallbolzen, die als Schrapnelle vor die Sprengsätze montiert wurden, waren bis zu 200 m weit geflogen, die Kraft, die sie entfalteten, lag deutlich über der, die es zum Töten eines Menschen gebraucht hätte. Ein Gutachter betonte, dass eine solche Art von Sprengsätzen für Laien nicht mal ansatzweise kontrollierbar sei.
Hinzukommt das Motiv, dass der Angeklagte selbst lieferte: Je größer der Schaden, desto höher sein Gewinn.
Eine Wette auf den Tod?
Unstrittig ist, dass der Mann, der zuletzt in Rottenburg am Neckar lebte, nicht aus religiösen oder politischen Motiven handelte, sondern aus Gier:
Mit verschiedenen Put-Optionsscheinen hatte W. auf einen drastischen Kursverlust der Aktien von Borussia Dortmund gewettet.
Wäre sein Plan aufgegangen, hätte er laut den Ermittlungsbehörden einen Gewinn von bis zu einer halben Millionen Euro erwarten können. Mit einem Einsatz von rund 40.000 Euro, die er sich zuvor über einen Verbraucherkredit besorgt hatte.
Optionsscheine erlauben es Anlegern, Aktien bis zu einem festgelegten Zeitpunkt zu einem bestimmten Preis zu kaufen oder zu verkaufen, ohne dass sie die Aktien selbst besitzen müssen. Gekauft werden zunächst nur die Optionsscheine selbst zu einem verhältnismäßig geringen Preis.
Man unterscheidet zwischen der Call-Option, bei der es um den Kaufpreis der Aktien geht und der Put-Option, die den Verkaufspreis festlegt.
Ein Rechenbeispiel:
Ein Anleger besorgt sich 10.000 Put-Optionsscheine für eine Aktie, deren Basiswert bei 5 Euro liegt.
Jeder Schein kostet 12 Cent.
Innerhalb des vorgegebenen Zeitraums fällt der Kurs der Aktie auf 1 Euro.
Der Anleger hat 1.200 Euro für die Optionsscheine ausgegeben und zahlt nun 10.000 Euro für die Aktie, die er sofort wieder zum vorher festgelegten Preis von jeweils 5 Euro verkauft.
Reingewinn: 38.800 Euro.
Fakt ist: Den höchsten Gewinn hätte W. gemacht, wenn die Aktie maximal abgestürzt wäre. Der Tod eines oder mehrerer Spieler hätte dies möglich gemacht. Tatsächlich waren die Schwankungen vergleichsweise marginal: Sein Gewinn lag bei 5.900 Euro.
BVB-Attentäter Sergej. W.: Psychische Probleme?
Wie und warum Sergej W. auf die Idee kam, einen solchen Plan zu fassen, umzusetzen und den Tod von Menschen billigend in Kauf zu nehmen, konnte auch der nun zu Ende gegangene Prozess nicht abschließend klären.
Nach Erkenntnissen der Ermittler rang W. mit psychischen Problemen, Verteidiger Heydenreich wiederholte während des Prozesses mehrmals, sein unter Suizidphantasien leidender Mandant habe vorgehabt, seiner Familie nach seinem Freitod Geld zu hinterlassen.
Glaubt man seinem Anwalt, ist W. heute ein gebrochener Mensch. Nach seiner Tat sei er psychisch und wirtschaftlich zerstört, ein ruhiger Mann, der sich nun womöglich noch weiter zurückziehen werde, ließ Verteidiger Karl W. Heydenreich die anwesenden Medienvertreter nach Verkündung des Urteils gegen seinen Mandanten wissen. Er werde sich in den kommenden Tagen mit ihm zusammensetzten um über einen Revisionsantrag zu entscheiden.
Auch Oberstaatsanwalt Carsten Dombert kündigte an, die Rechtsmittel prüfen zu wollen.
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