Urteil gefällt im Berliner Hells Angels Prozess wegen Mordes im Wettbüro
Posted on: 02/10/2019, 01:16h.
Last updated on: 17/10/2019, 04:24h.
Das Berliner Landgericht hat gestern acht der zehn angeklagten mutmaßlichen Mitglieder der Hells Angels wegen Mordes zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Der Rockerboss Kadir P. soll den Mord an Tahir Ö. in Auftrag gegeben haben. Das Opfer wurde vor fünf Jahren, am 10. Januar 2014, im Hinterzimmer des Wettbüros „Expect“ in Berlin Reinickendorf mit sechs Schüssen niedergestreckt.
Eine Gerichtssprecherin kommentierte, dass es sich um einen sehr komplexen Prozess gehandelt habe, der viel Zeit beansprucht habe. Es sei gleichzeitig gegen zehn Angeklagte ermittelt worden. Dabei seien über 370 Zeugen und Sachverständige angehört und mehr als 150 Stunden Telefonmaterial ausgewertet worden.
Die Staatsanwaltschaft habe gegen alle Angeklagten schlüssige Beweise vorlegen müssen, was durch den „Ehrenkodex“ der Rocker erschwert worden sei, der von Mitgliedern verlange, nicht mit den Vollstreckungsbehörden zu kooperieren.
Hinrichtung im Hinterzimmer
Vor fünf Jahren drangen 13 Männer in das Wettbüro im Bezirk Reinickendorf ein und marschierten ins Hinterzimmer. Dort gab Recep O., der die Gruppe anführte, mehrere tödliche Schüsse auf das Opfer ab.
Die Tat dauerte nur 25 Sekunden. Überwachungskameras im Hinterzimmer und im Ladenbereich zeichneten die Tat auf. Die Ermittler konnten die Täter schnell aufgreifen. Drei der mutmaßlichen Täter sind allerdings noch immer flüchtig.
Kronzeuge gewährte Einblicke in die Rockerszene
Nur einer der Angeklagten, Kassra Z., in der Szene als „der Perser“ bekannt, brach sein Schweigen und sagte als Kronzeuge aus.
Dadurch erhielten die Richter Einblicke in das Rocker-Milieu, das, wie der Vorsitzende Richter Thomas Groß formulierte, in militärischer Manier durchorganisiert sei.
Vor allem gehe es darum, Geld durch Drogenhandel und Prostitution zu verdienen.
Im Gerichtssaal saß Kassra A. in einem besonders geschützten Bereich und von den Mittätern isoliert. Der Mann wurde ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen.
Auch sein Rechtsbeistand weiß nicht, in welchem Gefängnis er inhaftiert ist. Kassra Z. wurde zwar ebenfalls wegen Mordes schuldig gesprochen, erhielt aber nur eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren.
Das Urteil: zwei „dissoziale Alphatiere“
Richter Groß verlas gestern drei Stunden lang das Urteil und die Urteilsbegründung, in der er das Mordopfer Tahir Ö. sowie Kadir P., den Berliner Hells-Angels-Boss, als „dissoziale Alphatiere“ bezeichnete, die sich gegenseitig verhöhnt und herausgefordert hätten.
Außerdem habe Tahir Ö. die Geschäfte der Rocker-Gemeinschaft und ihr Ansehen gefährdet, so dass Kadir P. beschlossen habe, seinen Kontrahenten zu töten. Recep O., der nach Anerkennung gestrebt habe, so der Richter, habe die Tat ausgeführt.
Der Einwand Recep Os., es habe sich um Notwehr gehandelt, nahm ihm das Gericht nicht ab. Wie die Videobeweise zeigten, sei er schon mit der Waffe in der Hand und mit ausgestrecktem Arm auf das Opfer zugelaufen, das sich in seinem Stammcafé sicher gefühlt habe.
Richter Groß kommentierte:
“Ein Leben-und-leben-lassen der beiden im selben Kiez war auf Dauer nicht vorstellbar. Kadir Padir und Tahir Özbek konnten sich nicht ausstehen. Tahir Özbek war einer, der hatte Eier in der Hose, der gab nie nach.“
Polizei soll von den Mordplänen gewusst haben
Nach Ansicht der Strafkammer hätte der Mord an T. Özbek verhindert werden können. So sagte Richter Groß am Ende seiner Urteilsverkündung, dass das Landeskriminalamt von den Mordplänen gewusst, aber keine präventiven Maßnahmen ergriffen habe.
So sollen die Beamten kurz vor der Tat Telefonate von Kadir P. abgehört haben, in denen er wegen eines Vorfalls vor einer Berliner Diskothek am Alexanderplatz Rache schwor.
Tahir Ö. soll im Oktober 2013 mit Türstehern, die mutmaßlich den Hells Angels angehörten, vor einer Diskothek in Streit geraten sein. Das Wortgefecht habe zu einer Messerstecherei geführt.
Die Staatsanwaltschaft leite aus diesem Grunde Ermittlungen gegen drei Beamte ein, die sich wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten müssen, kommentierte eine Sprecherin des Gerichts.
Die Beamten hätten eine sogenannte „Gefährderansprache“ mit Kadir P. führen müssen. Es ist nicht klar, warum die Ermittlungsbehörden dies nicht taten.
Was versteht man unter der Gefährderansprache?
Bei einer Gefährderansprache handelt es sich um ein konfrontatives Gespräch der Polizei mit einer Person, die als Gefährder definiert wird. Dabei wird vor allem betont, dass die Polizei die betreffende Person beobachtet und Maßnahmen gegen Fehlverhalten ergreifen wird.
Rechtsanwalt Mehmet, der Nebenklagevertreter der Familie des Opfers, bezeichnete dieses Vorgehen als „skandalös“:
“Zahlreiche Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen wussten Bescheid über die geplante Tötung und haben rein gar nichts unternommen, um das Opfer zu schützen. Das ist für die Eltern und die Geschwister bitter.“
Die Rechtsanwälte der Verurteilten werden voraussichtlich gegen das Urteil in Revision gehen.
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